Auf Empfehlung des Sonnenkönigs !
Rundgang durch den Petit Parc
Im Jahre 1701 verfasste der Sonnenkönig höchstpersönlich eine Anleitung, die es dem Besucher von Versailles erleichtert, den geeigneten Rundgang durch den Schlosspark zu finden, ohne dabei auf wichtige Parkteile, Überraschungen und geheimnisvolle Plätze verzichten zu müssen.
Die königliche Anleitung ist zeitlos und daher bis heute anwendbar - wenngleich sich der Schlosspark im Laufe der Zeit ein wenig gewandelt hat.
Den Empfehlungen Louis' XIV. entsprechend, möchte ich hier den königlichen Rundgang etwas genauer vorstellen. Hin und wieder finden sich von mir kleine Ergänzungen und Erläuterungen, die die über 300 Jahre alte Anleitung in die die moderne Zeit versetzen und Veränderungen im Schlosspark berücksichtigen.
Louis XIV. empfiehlt zu Beginn, den Palast über den Vorraum des Marmorhofes hinaus zur Terrasse zu verlassen.
Dies ist heute nicht mehr möglich, da der Parkzugang vom Schloss aus nicht mehr durch das Hauptgebäude führt, sondern südlich, vorbei am Parterre du Midi.
Auf der Terrasse verweile man ein wenig und betrachte die Anordnung der Parterres, der Wasseranlagen und der Brunnen der Cabinets.
Danach begebe man sich zum Latona-Bassin und lege auch hier eine Pause ein, um die Göttin Latona, die Eidechsen, die beiden Rampen, die diversen Statuen, die Königsallee und den Großen Kanal zu betrachten.
Man drehe sich hier nochmals um, um einen Blick zum Wasserparterre und zum Palast zu erhalten...
... und wende sich anschließend nach links, um zwischen den Sphinxen hindurchzugehen.
Unterwegs lege man eine Pause vor dem Cabinet du Point du Jour mit seiner Fontäne (nur während der Wasserspiele) und dem Wasserteppich ein.
Von hier aus gehe man weiter zu den beiden Sphinxen (gemeint sind die beiden Marmorsphinxen am Eingang des Südparterres, die von geflügelten Kindern geritten werden), lege erneut eine Pause ein und genieße den Anblick des Parterre du Midi.
Vom Südparterre aus begebe man sich geradewegs zur Orangerie, von wo aus man das Orangerie-Parterre und das Schweizer Becken sehen kann.
Man steige nun über die rechte Rampe der Orangerie (= Treppe der Hundert Stufen) hinab...
... und gelange so in den Garten der Orangenbäume, wo man sich geradewegs zum Brunnen begebe und die Orangerie betrachte.
Der König schlägt nun vor, durch die Alleen der großen Orangenbäume zu schreiten, und anschließend durch die überdachte Orangerie, die man über den Vorraum auf der Seite des Labyrinths wieder verlässt.
Hier verlangt der König etwas, das wir Touristen normalerweise nicht befolgen können, denn die Hallen der Orangerie gehören leider nicht zum öffentlichen Besucherbereich.
Man verlässt die Orangerie einfach wieder durch den normalen Eingang durch den man sie betreten hat.
Auch seinem nächsten Vorschlag können wir nicht folgen: Louis XIV. empfiehlt, nun das Labyrinth zu betreten, und, nachdem man bis zu den Enten und dem Hund hinabgestiegen ist (gemeint sind hier die Fabelbrunnen des Labyrinths), wieder hinauf zu steigen, um es auf der Seite des Bacchusbeckens zu verlassen.
Das Labyrinth existiert jedoch leider samt seiner Fabelbrunnen nicht mehr; an seiner Stelle befindet sich das Boskett der Königin, welche wir also nun durchschreiten.
Das Bokett verlässt man wieder auf der Seite des Bacchus-Bassins, einem der Vierjahreszeiten-Bassins, das den Herbst darstellt.
Man gehe anschließend weiter zum Ballsaal mit seiner Tanzfläche. Der Salle de Bal ist praktisch noch im Originalzustand, weswegen das kostbare Boskett auch nur wochenends in der Hochsaison unter Bewachung geöffnet ist.
Nach dem Verlassen des Ballsaals begebe man sich nun geradewegs zum Aussichtspunkt des Latona-Parterres. Dort lege man erneut eine Pause ein, um die beiden Rampen, die Statuen, die Eidechsen, Latona und das Schloss näher zu betrachten.
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Wendet man sich um, erblickt man die Königsallee, das Apollo-Bassin, den Großen Kanal...
... aber auch die Fontänen der Vierjahreszeiten-Bassins - Flora und Ceres rechterhand sowie Saturn und Bacchus linkerhand. Dies ist also der Ort, von dem aus man alle vier der Jahreszeiten-Bassin betrachten kann. Sie bilden die Form eines Rechtecks, welches das Zentrum des Gartens strukturiert:
[Fotos folgen]
Man steige nun über das Girandole-Boskett hinab, das man auf dem Weg zum Saturn-Bassin erblickt.
Man umrunde es zur Hälfte und begebe sich - vorbei am Saturn-Bassin, das den Winter darstellt - ...
... zur Île Royale. Hier passiert man zuerst das Spiegelbecken des Königs.
Man begebe sich auf die Chaussee, wo sich zu beiden Seiten Fontainen befinden.
Louis XIV. empfiehlt nun, das große Becken zu umrunden, und, wenn man unten angelangt ist, eine Pause einzulegen, um die Fontänen, die Muscheln, die Becken, die Statuen und die Pforten zu betrachten.
Dieses große Becken der Île Royale mit seiner Liebesinsel in der Mitte existiert jedoch nicht mehr. Heute befindet sich an dieser Stelle der Jardin du Roi.
Durch den Salle des Marronniers - die ehemalige Galerie des Antiques - geht man hindurch, ...
... um anschließend ins Kolonnaden-Boskett einzutreten.
Hier begebe man sich in die Mitte des Bosketts und mache einen kompletten Rundgang, um die Säulen, die Bögen, die Flachreliefs und die Becken zu bewundern.
Louis XIV. erwähnt in seiner Anleitung nicht die im Zentrum der Colonnade befindliche Skulptur Die Entführung der Proserpina durch Pluto, vor den Augen der Cyane. Diese Skulptur wurde erst später aufgestellt; sie ist daher noch nicht im Rundgang des Königs aufgeführt.
Zurück in der Königsallee steige man zum Apollo-Bassin hinab...
... und lege hier eine Pause ein, um die Figuren und die Ausbuchtungen der Königsallee, die Göttin Latona in der Ferne und das über allem thronende Schloss zu betrachten.
Von hier aus sieht man auch den Großen Kanal.
Man betrete nun die kleine Allee, die zur Flora führt, begebe sich zu den Apollobädern (heute: Bosquet des Dômes) und umrunde sie, um die Statuen, die Cabinets (heute nicht mehr vorhanden) und die Flachreliefs zu betrachten.
Dieses Boskett hatte der König "Apollobäder" getauft, da sich zum Zeitpunkt der Niederschrift seines Rundgangs die Apollobäder aus der ehemaligen Thetisgrotte hier befanden.
Der König läd ihn diesem Boskett zur Betrachtung der Flachreliefs ein. Sie zeigen die Waffen der verschiedenen europäischen Nationen während der geführten Kriege.
Die Balustraden des Bosketts sorgen während der Großen Wasserspiele durch die Reflektion des Wassers für ein außergewöhnliches Licht-Schatten-Spiel.
Man gehe nun am Enkelados-Bassin vorbei, wo man nur eine halbe Runde drehe und nach seiner Betrachtung wieder durch den unteren Teil hinausgehe.
Natürlich kann und sollte man hier länger verweilen - das hübsche Boskett läd förmlich dazu ein. Weshalb der König nur eine halbe Umrundung empfiehlt, ist mir leider nicht bekannt. Womöglich hatte er es eilig ? Vielleicht jedoch erinnerte das Boskett den König aber auch zu sehr an die unsichere Zeit der Fronde, als
seine Untertanen sich gegen ihn stellten... Das Enkelados-Boskett stellt bewusst eine Warnung an den ehemals aufrührerischen Adel dar.
Vom Enkelados-Boskett aus gelangt man über die Allée de Cérès et de Flore gegenüber zum Salle des Festins - dem heutigen Obelisk-Boskett.
Während der Großen Wasserspiele entfaltet das sonst unscheinbare Boskett seine wahre Pracht: eine, einem Obelisk ähnelnde Fontäne ragt hier in die Höhe:
Vom Obelisk geht man nun zurück in die Allée de Cérès et de Flore, um das Flora-Bassin zu betrachten, das den Frühling darstellt.
Zwischen dem Frühling- und dem nachfolgenden Sommer-Bassin liegen zwei, um es mit meinen Worten und nicht mit den Worten des Königs zu sagen, recht unscheinbare Boskette:
Rechterhand gelangt man ins Bosquet du Dauphin und linkerhand ins Bosquet de l'Etoile.
(Bosquet du Dauphin)
(Bosquet de l'Étoile)
Der einstige Wasserbrunnen des Stern-Bosketts existiert heute leider nicht mehr.
Anschließend begebe man sich zum Ceres-Bassin, das den Sommer darstellt.
Von hier aus besucht man das Theater. Louis XIV meint hier freilich kein richtiges Theater, sondern das Wassertheater-Boskett - ein Wasserspiel.
Dieses Boskett war eines der schönsten Attraktionen, die André Le Nôtre hier schuf; es war der Inbegriff der barocken Gartenkunst. Leider ist praktisch nichts mehr übrig von diesem Boskett, da es im 18. Jahrhundert zerstört wurde.
Von 2013 bis 2015 erfolgte die Restaurierung des Bosketts. Die Schlossverwaltung plante zunächst den Wiederaufbau dieses Theaters wie zu Zeiten des Sonnenkönigs. Dieser Plan wurde jedoch leider verworfen; es entstand ein moderner Landschaftsgarten...
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Zum Wassertheater gehört die kleine Kinderinsel, die jedoch ebenfalls ganz offensichtlich sanierungsbedürftig ist:
Wir kommen nun zu einem besonderen Boskett:
Das Boskett der Apollobäder. Es handelt sich hierbei um ein Boskett, dessen Verwandlung Louis XIV nicht mehr erleben durfte. Unter seiner Regierung wäre diese Art von Boskett wohl auch nicht entstanden, denn es widerspricht dem symmetrischen Plan des Parks: die Zeit der englischen Gärten kam im 18. Jahrhundert in Mode und prägt auch dieses Boskett. Das Boskett bekam erst unter Louis XVI seine heutige Bedeutung. Zu Zeiten des Sonnenkönigs befand sich hier das Bosquet du Marais.
Von hier aus geht es weiter zum Boskett der Drei Fontänen.
Man betrete das Boskett von oben, steige hinab und, nachdem man die Brunnen auf den drei Etagen betrachtet hat, ...
... verlasse man den Ort über die Allee, die zum Drachen führt.
Man umrunde das Bassin des Drachens und betrachte die Fontänen sowie das Bassin des Neptuns dahinter.
(Bassin du Dragon)
(Bassin de Neptune)
Weiter führt uns des Königs Rundgang durch das parallel zum Bosquet des Trois Fontaines verlaufende Boskett des Triumphbogens.
Dieses durchlaufe man einmal komplett und verlasse es wieder auf der Seite des Drachenbeckens.
Von hier aus durchquere man die Allee der Kinder (bzw. die Wasserallee) und wenn man an dem Stein angelangt ist, der sich zwischen den beiden unteren Becken befindet (Anmerkung: Welchen "Stein" der König hier meint, ist mir leider unklar.), wende man sich um, um mit einem Blick alle Fontänen des Neptuns- und Drachenbeckens zu erfassen.
Man gehe dann die Allee weiter hinauf.
Man bleibe am Fuße der Wasserfläche (Cascade) stehen und achte dort auf die Flachreliefs (Le Bain des Nymphes de Diane).
Man gehe dicht an der Pyramide vorbei, wo man einen Augenblick verweile.
Danach steige man über die Marmortreppe (Le Perron Central), welche sich zwischen dem Schleifer und der schamhaften Venus befindet, wieder hinauf zum Palast.
Perron Central
Schleifer
schamhafte Venus
Auf dem oberen Treppenabsatz wende man sich um, um das Nordparterre, die Statuen, die Kronen (= Bassins des Couronnes), die Pyramide und das, was man vom Neptunbecken sehen kann, zu betrachten.
Dann verlasse man den Garten durch diesselbe Tür, durch die man ihn betreten hat - auch hier der Hinweis, dass sich der Ein-/Ausgang des Schlossparks heute in Höhe des Südparterres befindet.
rechtlicher Hinweis:
Text © 2010 by /MariaAntonia
Fotos © 2007-2014 by MariaAntonia
Der "normale" Tourist läuft - das konnte ich beobachten - stets der Masse nach: vom Palast zum Latona-Parterre und über den Grünen Teppich hinab zum Apollo-Bassin. Von dort geht es meist weiter zu den Trianon-Schlössern.
Die verborgenen Parkschätze werden dabei oft übersehen.
Wenn man die Anleitung des Königs beim eigenen Rundgang durch den Park befolgt, dann verpasst man in der Tat keines der wundervollen Boskette und keinen der abgelegeneren, gemütlichen Orte, sondern läuft alle Sehenswürdigkeiten schematisch ab.
Allen, die den königlichen Rundgang einmal ausprobieren möchten, wünsche ich viel Spaß beim nächsten Versailles-Besuch ! Es lohnt sich.
Eure MariaAntonia
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